BAG: Höhere Vergütung bei gleicher Arbeitszeit?
Dr. Friedrich Goecke Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Taylor Wessing, Düsseldorf Bild: Pexels/Tom Swinnen Das Bundesarbeitsgericht entschied kürzlich, dass Zuschläge für Mehrarbeit Teilzeitbeschäftigten bereits bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit zustehen, nicht erst bei Überschreiten der Arbeitszeit von Vollzeitkräften. Rechtsanwalt Friedrich Goecke ordnet die Folgen des Urteils für Personalverantwortliche ein. Gleiche Tätigkeit, gleiche Arbeitszeit, aber der Kollege verdient mehr? In jüngster Zeit wurden solche Fälle oft in Zusammenhang mit dem Gender Pay Gap diskutiert. Doch nun spielt die geschilderte Vergütungsungleichheit im Teilzeitrecht – und hat gerade den Segen des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 5. Dezember 2024, Az. 8 AZR 370/20) erhalten. Wie geht das? Mehrarbeitszuschläge bei Überschreiten der individuellen Arbeitszeit Die Antwort lautet: durch Mehrarbeitszuschläge einer Teilzeitarbeitnehmerin. Der Fall ist leicht erklärt: Eine Pflegekraft ist in Teilzeit tätig und leistet entsprechend nur 40 Prozent der für Vollzeitkräfte üblichen Arbeitszeit, z. B. 64 statt 160 Arbeitsstunden im Monat. Der einschlägige Tarifvertrag sieht Mehrarbeitszuschläge von 30 Prozent vor. Entscheidendes Detail: Der Mehrarbeitszuschlag greift für alle Mitarbeitenden erst, wenn die monatlichen Arbeitsstunden eines Vollzeitbeschäftigten erreicht ist – im genannten Beispiel also ab der 161. Arbeitsstunde. window.Ads_BA_pagetype = „detail“; Um in den Genuss der zuschlagspflichtigen Mehrarbeitsstunde zu kommen, hätte die Teilzeitpflegekraft also zunächst die „fehlenden“ 60 Prozent Arbeitszeit zuschlagsfrei „nachholen“ müssen. Sie sah sich hierdurch in ihrer Eigenschaft als Teilzeitkraft diskriminiert und erhob Klage vor den Arbeitsgerichten. Zum einen wollte sie bereits bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit den tariflichen Mehrarbeitszuschlag erhalten; zum anderen sah sie sich mittelbar auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Gleich hohes Gehalt kann diskriminierend sein Liegt also eine Diskriminierung vor, auch wenn der Teilzeit- und der Vollzeitkraft unter dem Strich derselbe Stundenlohn gezahlt wird? Das BAG antwortet eindeutig „Ja“. Wenn eine Teilzeitkraft nach Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeitgrenze zunächst „nur“ mit der Grundvergütung „abgespeist“ wird und schwerer in den Bereich der Mehrarbeitsvergütung kommt, liegt eine Diskriminierung vor. Stattdessen müsse die individuelle Mehrarbeitsgrenze Pro-Rata-Temporis nach dem prozentualen Anteil der Teilzeitquote ermittelt werden.Durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung habe die Klägerin außerdem eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts erfahren. 90 Prozent der betroffenen Teilzeitkräfte seien Frauen gewesen; diese seien daher deutlich überproportional betroffen. Infolgedessen erhielt die Klägerin eine Entschädigung nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. 120 Stunden Arbeit sind eben für jemanden, der eigentlich nur 64 Stunden arbeiten muss, etwas anderes als für jemanden, der diese Stundenzahl vertraglich schuldet.Falsche (diskriminierende) Vergütungsregelung:VollzeitkraftTeilzeitkraftArbeitsquote100 %40 %Arbeitsstunden (monatlich)16064Mehrarbeitszuschlag von 30 % ab Arbeitsstunde161161Bruttolohn für 120 Arbeitsstunden (Stundenlohn 20,- Euro)2.400 Euro2.400 EuroKorrekte (diskriminierungsfreie) Vergütungsregelung:VollzeitkraftTeilzeitkraftArbeitsquote100 %40 %Arbeitsstunden (monatlich)16064Mehrarbeitszuschlag von 30 % ab Arbeitsstunde16165Bruttolohn für 120 Arbeitsstunden (Stundenlohn 20,- Euro)2.400 Euro2.736 Euro Vergütungsstrukturen überprüfen und anpassen Für Personalverantwortliche zeichnet sich ab: Vergütungsstrukturen müssen im Sinne der neuen Rechtsprechung „diskriminierungsfest“ gestaltet werden. Dort, wo besondere Vergütungsbestandteile – undifferenziert nach Voll- und Teilzeitarbeit – an eine absolute Anzahl an Arbeitsstunden geknüpft sind, führt meist nur ein strenger Pro-Rata-Temporis-Ansatz zum Ziel der Diskriminierungsfreiheit. Sprich: Für Teilzeitkräfte müssen entsprechend ihrer Teilzeitquote niedrigere Schwellen gelten als für Vollzeitkräfte.Doch mit der Prüfung der Diskriminierungsfestigkeit ist nur der erste Schritt getan: Die Vergütungsstrukturen sollten insgesamt darauf überprüft werden, ob sie nicht ungewollte Anreize setzen, in Teilzeit zu arbeiten. Die strikte Pro-Rata-Temporis-Betrachtung kann durchaus zu Unwuchten bei variablen Vergütungssystemen führen. Wird z. B. eine hohe Bonuszahlung durch das Erreichen einer bestimmten individuellen Umsatzschwelle erreicht, so muss diese Umsatzschwelle für Teilzeitkräfte (pro-rata-temporis) herabgesetzt werden. Hierbei kann es durchaus Fälle geben, in denen die Teilzeitkraft mit geringer überobligatorischer Belastung die – niedrigere – Umsatzschwelle erreicht und durch den Bonus die Vollzeitkraft (ohne Bonus) überholt. Fazit: Überstundenzuschläge als möglicher Anreiz für Arbeitszeitreduzierung Wer in Teilzeit arbeitet, hat in aller Regel gute Gründe hierfür. Wenn die Teilzeitkraft bei gleicher Arbeitszeit aufgrund von Überstundenzuschlägen mehr verdient als die Vollzeitkraft, wird die Vollzeitkraft ihr dies in aller Regel nicht missgönnen – schließlich sind die Überstundenzuschläge der Ausgleich für überobligatorische Anstrengungen. Und dennoch: Wenn nicht das finanzielle Wohl an 10 Prozent mehr oder weniger Arbeit hängt (das wird bei Pflegekräften sehr häufig der Fall sein, weniger häufig möglicherweise z. B. bei Piloten; vgl. Beitrag „Falsche Teilzeit-Anreize bei Mehrarbeitszuschlägen“), so mag das Urteil des BAG die Entscheidung für eine Arbeitszeitreduzierung ein kleines bisschen erleichtern.Das könnte Sie auch interessieren:Vergütungsstrukturen diskriminierungsfrei gestalten (Personalmagazin digital)BAG-Urteil: Überstundenregelung diskriminiert TeilzeitbeschäftigteEuGH-Urteil: Teilzeitbeschäftigte bei Überstundenregelung benachteiligtWann kann der Arbeitgeber Überstunden anordnen und wie werden sie vergütet?BAG-Urteil: Altersfreizeit auch für Teilzeitbeschäftigte Schlagworte zum Thema: Teilzeitarbeit, Vergütung, BAG-Urteil window.addEventListener(‚load‘, function () { if (localStorage.getItem(„pega_profiling_consent“) === „true“) { require([‚lib/hg.pegaHandler‘], function () { var settings = new PegaSettings(„https://chrhfv-hamark-prod1.pegacloud.net/prweb/PRRestService/PegaMKTContainer/V3/Container“, „https://chrhfv-hamark-prod1.pegacloud.net/prweb/PRRestService/PegaMKTContainer/V3/CaptureResponse“, „https://chrhfv-hamark-prod1-decisionhub.pegacloud.net/prweb/PRRestService/PegaMKTContainer/V3/Container“, „https://chrhfv-hamark-prod1-decisionhub.pegacloud.net/prweb/PRRestService/PegaMKTContainer/V3/CaptureResponse“, „FreeContentPlacement“, „NBACOS“, „“, „HauCDH“); var portalInfo = new PagePortalInfo(„Recht“, „Arbeits- & Sozialrecht“, false, true, „News“); hg.pegaHandler().initFreeContent(settings, portalInfo, „Teilzeitarbeit&Vergütung&BAG-Urteil“); hg.pegaHandler().initFreeContentSticky(settings, portalInfo, „Teilzeitarbeit&Vergütung&BAG-Urteil“); }); } else if(localStorage.getItem(„pega_cookie_warning_discarded“) !== „true“) { require([‚lib/hg.pegaHandler‘], function () { hg.pegaHandler().initFallbackStickyBox(„tAQwdIR_y“); }); } }); Produktempfehlung Zum Shop window.addEventListener(‚DOMContentLoaded‘, function () { if (localStorage.getItem(„pega_consent“) === „true“) { var element = document.getElementById(„prod-box-main-container“); element.classList.remove(„hidden“); } }); Meistgelesene Beiträge Personalgespräch – Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers 3.034 1 Krankmeldung aus dem Ausland: Welche Vorgaben sind zu beachten? 2.080 Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers 1.485 Worauf ist bei Abmahnungen zu achten? 1.439 Mutterschutzlohn: Anspruch und Berechnung im individuellen Beschäftigungsverbot 1.231 Wenn Arbeitnehmer die Kündigungsfristen nicht einhalten 1.196 Rolle des Integrationsamts bei Kündigung schwerbehinderter Menschen 1.045 1 Ist das Ausrutschen auf der betrieblichen Toilette ein Arbeitsunfall? 884 Betriebsferien: Wann kann der Arbeitgeber Urlaub anordnen? 706 Tod des Arbeitnehmers: Vergütungs- und Zahlungsansprüche im Todesfall 649 Neueste Beiträge Auskunftspflicht der Kinder erst bei über 100.000 EUR Jahreseinkommen 17.01.2025 Widerruf einer Homeoffice-Regelung bei 500 km entferntem Arbeitsplatz 02.01.2025 Headset-Pflicht für Arbeitnehmer ist mitbestimmungspflichtig 03.12.2024 Trotz Kita-Anspruch kein Ersatz privater Betreuungskosten 18.11.2024 Wo liegen die Grenzen erlaubter Mitarbeiterabwerbung? 13.11.2024 Frist für Kündigungsschutzklage bei Schwangeren 29.07.2024 Mutterschutzlohn: Anspruch und Berechnung im individuellen Beschäftigungsverbot 25.04.2024 Rolle des Integrationsamts bei Kündigung schwerbehinderter Menschen 16.04.2024 1 Arbeitgeberrechte gegenüber Bewertungsplattformen 28.02.2024 1 Worauf ist bei Abmahnungen zu achten? 05.12.2023 0 Kommentare zum Artikel Jetzt kommentieren Um einen Kommentar zu schreiben, melden Sie sich bitte an. 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Weiter BAG 10 AZR 231/18 Entscheidungsstichwort (Thema) Vergleich von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten. isolierte Betrachtung der Entgeltbestandteile Leitsatz (amtlich) Eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge erst besteht, wenn die … mehr 4 Wochen testen Bild: Haufe Online Redaktion Newsletter Recht – Wirtschaftsrecht Aktuelle Informationen aus dem Bereich Wirtschaftsrecht frei Haus – abonnieren Sie unseren Newsletter:• Handels- und Gesellschaftsrecht • Gewerblicher Rechtsschutz • Vertriebsrecht Pflichtfeld: Bitte geben Sie eine gültige E-Mail Adresse ein. Hiermit bestätige ich, dass ich die AGB und die Datenschutzerklärung gelesen habe und mit ihnen einverstanden bin. 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